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Zug der Erinnerung
Ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen

In Kooperation mit:

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Cover: searching for traces

Sie könnten unsere Verwandten sein,
wir hätten sie geliebt...

Das Gesicht eines Kindes

Leni Valk war neun Jahre alt, als sie
1943 mit der "Reichsbahn" nach
Sobibor deportiert und ermordet wurde.

DÜSSELDORF - Die Autorin und ehemalige PEN-Präsidentin Ingrid Bacher besuchte den "Zug der Erinnerung" in Düsseldorf. Frau Bacher hielt ihre Eindrücke, ihre Gefühle und Gedanken in dem folgenden Text fest.

"Ich steige in den Zug, der aus einer Reihe altmodischer Waggons besteht. Wenn er sich in Bewegung setzt, werde ich nicht sanft schwebend dahingetragen wie gewohnt im ICE. Im Takt der Schwellen wird er härter seinen Weg über die Gleise nehmen. Schon höre ich das Geräusch dieser Fahrt, obwohl er unbeweglich steht, dieser Zug, der die Toten uns näher bringt. Mit mir sind andere Menschen eingestiegen. Wir grüßen uns nicht. Und wenn unsere Blicke sich wie zufällig treffen, dann nicht abwehrend, sondern im flüchtigen Einverständnis. Wir sind alle auf dem gleichen Weg. Doch nehmen wir dies nur im Vorbeigehen wahr, gewohnt fremd zu bleiben. Schon stehe ich im Gang in diesem „Zug der Erinnerung“. Es ist eng hier und die Fenster gewähren keinen Ausblick. Klaustrophobische Beunruhigung. Hier komme ich so schnell nicht heraus. An den Fenstern Fotos der Mitreisenden, die ohne Bewegung sind, ohne Farbe, altmodisch gewandet. Sie blicken uns an, die nie ahnten, dass wir eines Tages ihre Blicke suchen würden, Jahrzehnte nach ihrem Tod. Es sind Fotos von Menschen, die gefahren wurden in Waggons ohne Sitze, in Güterwagen, in die man sie hineinpresste. Auch in dem Waggon, in den ich nun mich langsam vorwärts bewege, gibt es in den Abteils keine Sitze mehr. Auch hier sehen mich Menschen an, die ehemals mit der deutschen Reichsbahn transportiert wurden. Privatfotos, Familienportraits hinter Glas, die Augen auf uns gerichtet, die wir uns vorandrängen von einem Abteil zum anderen. Erinnerung an jene, die aus ihrem alltäglichen Sein gerissen wurden, verurteilt ohne Schuld, gedemütigt, gequält und vernichtet.

So unterschiedlich sie waren die Männer, die Frauen und Kinder von ihrem Alter her und den Umständen ihres Lebens, von Stellung und Möglichkeiten, gemeinsam war ihr Ende. Zusammengetrieben wurden sie in abseitigen Bahnhöfen, transportiert in tagelangen Fahrten, um fern ab ihrer Heimat getötet zu werden. Die Verzweiflung der Trennung, die Todesangst, die Schreie, das Weinen, geflüsterte Trostworte in der stickigen Enge der Waggons während der tagelangen Fahrten, dem Stillstehen auf den Nebengeleisen, wenn die Hauptstrecken für die Wehrmacht gebraucht wurden oder für Flüchtlinge, die aus den bombardierten Städten gefahren wurden. Das leise beschwörende Geflüster, mit dem einer den anderen am Leben zu halten versucht, während das Rattern des Zuges darüber hinweggeht. Die Worte kaum hörbar: 'Ich bin bei dir. Sie werden uns nichts tun. Warum sollten sie. Das ist nicht menschlich.'

Es war nicht menschlich. Ich entdecke das Gesicht eines Kindes, dessen Name mir bekannt ist. Eine Straße in Goch trägt ihren Namen. Leni Valk, am 28.9.1933 geboren. Ein kleines Mädchen, das in den Zug einsteigen musste weil sie Jüdin war, um am 21.5.1943 fern ihrer Familie in Sobibor/Polen getötet zu werden. Ich erschrecke, während ich dies schreibe, wie oft gab es inzwischen den 21. Mai. Die Toten bleiben anwesend. Zu spät der Wunsch, die Unerreichbaren zu beschützen. Neben ihrem Bild das eines alten Mannes mit seinen beiden Enkelkindern, sie alle drei im Sonntagsstaat, ruhig lächelnd. Bald darauf trennte man sie im Transport. Und weitergehend sehe ich eng nebeneinander Bild auf Bild an den Wänden und in den Kästen Briefumschläge mit Adressen, aufgefaltete Bögen, abgestempelte Postkarten, Zeichnungen ... Der Zug nimmt uns mit, die wir immer stiller werdend an diesen übrig gebliebenen Zeugnissen des Lebens der Ermordeten vorbeigehen. Sie könnten unsere Verwandten sein, wir hätten sie geliebt. Jedes Detail wird nun wichtig, weil wir anhand der wenigen Dokumente ahnen können, wie sie lebten. Das Haus im Hintergrund. Ein Picknick am See. Die altmodische Laube, in deren Zweigen spielend ein Kind sich verbirgt. Ein geöffnetes Tor. Auszug der Kinder über eine Straße, deren Ende sich unserem Blick entzieht. Keine Erlösung, nur der erstarrte Augenblick vor dem Verlust."

(Wird fortgesetzt)