Trenul amintirilor - Поезд воспоминания - Pociąg pamięci - Train of commemoration - Zug der Erinnerung - Az emlékezés vonata - Vurdon so na bistrel nahles - o treno tis mnimis - To treno tis mnimis - Pociag pamieci - Train de la mémoire - Zuch vun der Erënnerung - Vlak uspome

Zug der Erinnerung
Ein Projekt deutscher Bürgerinitiativen

In Kooperation mit:

Täternachkommen

Noch vor Ende des zweiten Aufenthaltstages haben die pädagogischen Zugbegleiter in Krefeld über 2.000 Gäste gezählt. Am Haupteingang des Bahnhofs wirbt ein Großtransparent für den Zug (Foto).

Auf Gleis 5 bilden sich seit Sonntag Warteschlangen, da die engen Ausstellungsabteile den Ansturm nicht mehr bewältigen. Lokale Helfer stärken das Zugteam, das bis zu 14 Stunden arbeitet, um Einführungen insbesondere für Schulklassen zu geben (Öffnungszeiten 08.00 Uhr bis 20.00 Uhr, bedarfsweise länger).

Für das große Interesse hat eine breite gesellschaftlichen Allianz gesorgt, die seit Monaten in Krefeld den Zugaufenthalt vorbereitet (Medienberichte). In ihrem Namen sprach bei Ausstellungseröffnung der Krefelder Bürgermeister und rief zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem wieder erstarkenden Rassismus auf. Nazi-Gegner machten auf bevorstehende NS-Aufmärsche im nahen Stolberg aufmerksam. Auch in Stolberg wird der Zug Station machen (Fahrplan).

Wir dokumentieren Auszüge aus der Rede des Trägervereins "Zug der Erinnerung":

Im Nebel der Lügen

NS-Polizeieinheiten bewachen die Massendeportationen im Auftrag der SS
und des Reichsverkehrsministeriums in Berlin

Mut braucht es bei jedem Besucher, in die Gesichter dieser Ausstellung zu sehen, gerade weil es keine verunstalteten Gesichter sind. Aber eine Gästegruppe unter den erwachsenen Besuchern muss besonders viel Mut aufbringen: Das sind die, die ich als Täterzeugen bezeichnen möchte, die Täternachkommen der ersten und zweiten Generation.

Man erkennt diese Besucher anfangs nicht. Sie sind zwischen 45 und 70 Jahre alt, gehen leise durch den Zug und sprechen am Ausgang unsere pädagogischen Begleiter an. Meist sind es scheinbar belanglose Bemerkungen, die wir zu hören bekommen, aber das ist nur die Probe


auf unsere Aufmerksamkeit und auf unsere Empathie (...)

In Mönchengbladbach offenbarte sich auf dem Bahnsteig ein älterer Herr, der 1943 dreizehn Jahre alt war. Er sagte, er habe im Sommer immer in der Nähe der Bahngleise gespielt und dabei an seinen Vater gedacht. Der Vater war an der Front. Die Mutter hatte erzählt, wenn der Vater zurück kommt, dann kommt er mit dem Zug. Wann immer das Wetter es erlaubte, hielt sich der Junge an den Bahngleisen auf, spielte in einem kleinen Tümpel und horchte auf die Geräusche der Lokomotiven.

Im Sommer 1943, an einem heißen Tag, kamen ihm diese Geräusche ungewöhnlich vor. Ein Zug hielt auf freier Strecke. Der Junge lief auf den Bahndamm. Er sagte uns, dass er den Anblick nie vergessen habe: Er sah einen unendlich langen Güterzug, aus dessen Luken Gesichter von Frauen und Kinder blickten. Er hörte an diesem heißen Sommertag Jammern und Rufe nach Wasser. Und er sagte uns, dass er diese Stimmen im Ohr habe, bis heute, als er zu weinen begann.

Diesen älteren Herrn treibt bis heute die Frage um, wer die Menschen waren, denen er in einer Blechbüchse versuchte Wasser zu reichen, bis ein Wachsoldat ihn nach zehn Minuten vertrieb.

Das Ereignis, über das er nie sprach, wurde in den vergangenen Jahrzehnten seines Lebens immer unwirklicher, denn niemand sprach darüber - über das, was doch alle gehört und gesehen hatten, nicht in Auschwitz, sondern hier, an der Heimatfront.

Dieser Gast unserer Ausstellung ist ein Täterzeuge, der Jahrzehnte im Nebel der Lügen und Verdrehungen, der falschen Rechtfertigungen und Schutzbehauptungen aufgewachsen ist.

In diesem Nebel stochert bis heute eine Frau, die in Neuss auf den Bahnhof kam. Sie war jünger und wollte wissen, ob wir ihr bei Nachforschungen über die NS-Polizeibataillone helfen könnten.

Die Polizeibataillone gehören zu den verbrecherichsten Einheiten, die im rückwärtigen Frontgebiet, besonders in der Sowjetunion und in Polen, an Massenliquidationen unvorstellbaren Ausmaßes beteiligt waren. In wissenschaftlichen Untersuchungen werden die Täter in diesen Bataillonen als treusorgende Väter beschrieben, die ihre Verbrechen manchmal nur wenige Monate ausübten, darunter die Maschinengewehrmorde an zehntausenden Kindern, bevor sie zurück zu ihren Familien kamen und auch in der Nachkriegszeit ein völlig unauffälliges Leben führten, oft erneut im deutschen Polizeidienst.

Es war naheliegend, warum die Besucherin in Neuss an diesen Einheiten interessiert war, aber wir fragten nicht, bevor auch sie zu weinen begann und offenbarte, dass ihr Vater in den Polizeibataillonen Dienst getan hatte. In seinen Hinterlassenschaften findet sich darüber offenbar kein einziges Zeugnis, in den Erzählungen der Familie kommt die Wahrheit nicht vor. Erst jetzt, fast 70 Jahre nach den Verbrechen, wagt es die Tochter, an das Geheimnis der Täter zu rühren. Das zeugt von enormen Mut, damit der Nebel der Lügen geteilt wird.

Meine Damen und Herren,

die Initiatoren dieses Zuges sind keine Nachkommen der Opfer, sondern Nachkommen der Täter. Weder schützen wir uns mit einer angeblichen jüdischen Großmutter vor der Wahrheit, noch mit einem antifaschistischen Großvater, der angeblich im Widerstand war.

Die Wahrheit ist, dass unsere Familien zu der Masse der Deutschen gehörten, die diese Verbrechen ermöglichten, ja die von ihnen profitierten. Zum Beispiel durch die sogenannte Arisierung jüdischen Vermögens. Selbst Teddybären und Kinderlöffel ersteigerten die ehemaligen Mitbürger der Deportierten.

Es genügte wegzusehen, um schuldig zu werden, wenn auf den Bahnhöfen an helllichtem Tag die "Reichsbahn" ihre Todestransporte durchführte.

Diese Wahrheit bleibt. Wenn wir diese Wahrheit aussprechen und daraus Konsequenzen für die Gegenwart ziehen, verfliegt der Nebel um unsere Nachkriegsgeschichte und wir werden den Kindern von damals, den Kindern in dieser Ausstellung, in die Augen sehen können:

Mit Tränen, mit Wut, aber mit der Kraft für ihre und für unsere Würde!